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Das Graue Schloss als „gastliches Haus“, Teil 3

Im Oktober 2020 erhielt ich von der Urenkelin des letzten Harstall im Grauen Schloss, Georg Ludwig Ernst, ein Paket mit Familienfotos und einem alten Gästebuch. Frau Barbara Kuhlmann hatte sich davon getrennt, weil sie, die ohne Kinder oder interessierte Nachfahren in Hamburg lebt, der Meinung ist, diese Gegenstände wären im Mihlaer Museum besser aufgehoben.

Beim Betrachten des Gästebuches stellte ich rasch fest, dass ich da etwas ganz Besonderes in den Händen hielt.

Das Gästebuch wurde mit Eintragungen der Gäste zur Hochzeit von Annemarie und Hans Große-Brauckmann 1923 eröffnet. Darunter die typischen Bemerkungen zum Glück der Familie, aber auch solche Sprüche wie „Deutsch sein heißt treu sein…“, die ein Verwandter Wilhelm eintrug.

In den nächsten Jahren war die junge Familie Große-Brauckmann bemüht, Stück für Stück die wirtschaftliche Führung des Grauen Schlosses von Georg von Harstall zu übernehmen. Dazu gehörte offensichtlich auch die Öffnung des Hauses für Gäste, was man unschwer an den Eintragungen im Gästebuch erkennen kann. Nicht nur Familienmitglieder, diese auch, trugen sich jetzt ein, sondern auch Fremde, die gerade in den Sommermonaten im Schloss Quartier erhielten.


Die zweite Eintragung im Gästebuch des Grauen Schlosses, 1923, im Zeitgeist konservativen adligen Denkens jener Jahre.

Die Eintragungstexte lassen darauf schließen, das wohl Annemarie Große-Brauckmann als tüchtige Hausfrau diese Gäste gern sah und viele von ihnen übernachteten mehrere Tage, manche verbrachten sogar regelrecht ihre Ferien im Grauen Schloss.

Ihr Ehemann Han begann sich inzwischen im Ort politisch zu engagieren.

Bereits 1926 wurde er Ortsvorsitzender des Landbundes, einer politischen bäuerlichen Vereinigung, die der konservativen DNDP nahestand und in Thüringen auch im Landtag saß. Während diese Bauernpartei anfangs noch Front gegen die gerade in Thüringen stärker werdenden Nazis machte, änderte sich diese Haltung am Ende der 20er Jahre. Der Landbund glitt in seinen politischen Auffassungen immer stärker in Richtung nationalistischer Lösungsansätze ab, besonders, nachdem die Wirkungen der 1929 ausbrechenden Weltwirtschaftskrise auch auf dem Lande angekommen waren und die mühsam erarbeitete wirtschaftliche Stabilisierung zu zerstören begann.

Große-Brauckmann, der auch im Gemeinderat gesessen hatte, zog sich allerdings in diesen Jahren immer mehr aus der Gemeindepolitik zurück. Dazu trug sich auch bei, dass im Mai 1924 das erste Kind der Familie, Sabine geboren wurde. 1927 folgte dann eine zweite Tochter, Barbara, die neben den Aufgaben im Rittergut eine verstärkte Aufmerksamkeit erforderten.

Im Februar 1933 wurde der erst wenige Monate vorher gewählte Mihlaer Gemeinderat, in dem die SPD noch vor der NSDAP die meisten Gemeinderäte stellte, in einer dramatischen Aktion im Rathaus entmachtet und mit dem Kaufmann Paul Lämmerhirt übernahm ein NSDAP-Mitglied das Amt des Bürgermeisters.

Große-Brauckmann, bisher bereits politisch tätig, wurde von der Leitung der Mihlaer NSDAP wegen seiner fachlichen Kenntnisse zum Ortsbauernführer vorgeschlagen und nahm dieses Amt noch 1933 auch an.

Hintergrund dieses Vorschlags war, sich der Loyalität der konservativen adligen Kreise in der Region zu versichern. Von deren Seite ging es zunächst darum, die Tuchfühlung mit den neuen Machthabern, mit denen man in einigen Punkten sicher auch gleicher Meinung war, nicht zu verlieren. Große- Brauckmann wurde durch diesen Schritt in der Folge für viele Maßnahmen und Festlegungen der Nazis mitverantwortlich.

Zeitzeugen berichten, dass allerdings Georg Ludwig Ernst und auch Wolff von Gudenberg über die oft arrogante und besserwisserische Art der Naziführung wenig begeistert waren.

Die Familie Harstall hatte in den Wahlkämpfen jener Jahre ganz offen den Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot der adlig-konservativen Kräfte unterstützt.

Inzwischen brachte das Jahr 1933 rasche Veränderungen im Sinne der NSDAP. Mit dem Ermächtigungsgesetzt fielen die letzten Bastionen der Weimarer Verfassung und bald war auch im ländlichen Raum der Terror der einen Partei allgegenwärtig.

Als am 16. Januar 1935 der Mihlaer Pfarrer Hoffmann, Mitglied der „Bekennenden Kirche“ und damit Gegner der von den Nazis ausgerichteten „Deutschen Christen“ im Mihlaer Pfarrhaus durch den Gemeindekirchenrat und Vertreter der Landeskirche vor die Alternative gestellt wurde, entweder den DC beizutreten, oder keine Anstellung als Pfarrer in Mihla zu erhalten, versammelten sich viele Mihlaer, die ihren Pfarrer unterstützen wollten, vor dem Pfarrhaus.

In Sprechchören riefen sie: „Wir wollen unseren Pfarrer behalten”. Sie stimmten das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ an und sangen daraus. „Und wenn die Welt voll Teufel wär.“

Es wird erzählt, dass der schon betagte und gesundheitlich angeschlagene Baron von Harstall bis zum Ende ausharrte und sich stündlich einen neuen Wärmestein bringen ließ.


Georg Ludwig Ernst und seine Frau mit Gästen, Foto vor der Westseite des Grauen  Schlosses, späte 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Im Oktober 1936 wurden dann Hans Große-Brauckmann und der Mihlaer Bauer Uth von der Gestapo verhaftet. Sie mussten mehrfache Verhöre erdulden und sollten wegen „antistaatlicher Umtriebe“ verurteilt werden. Erst nachdem sich „Bekannte“ der Adelsfamilie an entscheidender Stelle eingeschaltet hatten, kamen beide Männer mit dem Schrecken davon und kehrten nach Mihla zurück. Der Zweck der Einschüchterung war allerdings gelungen.

Die Auseinandersetzungen gingen weiter. Immer wieder wurde von offizieller Seite verlautet, dass das Mihlaer Rittergut unwirtschaftlich sei und im Rahmen der gerade verabschiedeten „Erbhofgesetze“ solle man einer solchen „überholten“ Bewirtschaftung ein Ende bereiten und effektivere Formen einführen. Ziel wurde offenbar immer mehr die Zerschlagung des Rittergutes und eine Aufteilung bzw. Übertragung an modernere Bewirtschafter. Noch aber fürchtete man auf Seiten der Nazis diesen letzten Schritt zur Zerschlagung der alten Adelsgüter.

Große-Brauckmann geriet schon bald in einen auch öffentlich ausgetragenen Streit mit dem Ortsgruppenführer der Mihlaer NSDAP, dem Altparteigenossen Streck, der schließlich auch den NSDAP-Kreisleiter Köhler in Eisenach einbezog.

Im Sommer 1939 stand er vor einer erneuten Verhaftung. Der Ausbruch des Krieges verhinderte dies. Große-Brauckmann wurde noch im gleichen Jahr, ebenso wie der Mihlaer Pfarrer Karl Hoffmann, zur Wehrmacht eingezogen.

Seine Verbindungen zum Reichsnährstand führten dann jedoch dazu, dass er dieser Organisation als Fachmann unterstellt wurde und beim Aufbau von deutschen Siedlungen und Neubauerngüter im eroberten Osten zum Einsatz kam. Für die Sicherung des Mihlaer Rittergutes in den weiteren zu erwartenden Auseinandersetzungen fiel er nun allerdings aus.


Auf vier Seiten im Gästebuch verewigten sich die Teilnehmer der Konfirmation von Sabine Große-Brauckmann, der Tochter der Familie und Enkelin des letzten Harstall, hier ein Ausschnitt.

Von all diesen politischen Entwicklungen, Differenzen und Auseinandersetzungen erfährt man im Gästebuch des Grauen Schlosses wenig. Allerdings ist auch der „neue deutsche Geist“ der Hitlerbewegung in den Eintragungen nicht erkennbar. Weiterhin steigen Sommergäste ab, die sich mit kleinen Gedichten und Sprüchen für die immer wieder gepriesene Gastfreundschaft bedanken.

Aber auch die Familie rückt enger zusammen. Immer wieder, mehr als in den 20er Jahren, sind es nun Onkeln und Tanten, die im Schloss zu Gast sind. So auch im April 1939 zur Konfirmation der Tochter Sabine, die in schwieriger Situation, wieder einmal schwebt die Gefahr der Güterenteignung über den Harstalls, groß gefeiert wird.

Dann brach der Weltkrieg aus und auch im Grauen Schloss änderte sich viel.

Darüber demnächst mehr.

Rainer Lämmerhirt

Ortschronist Mihla

 

 

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