Das Graue Schloss als gastfreundliches Haus

Teil 1: Die Familie

Das ist das Mihlaer Graue Schloss sicherlich bereits seit vielen Jahren, genauer, seitdem es im Jahre 1971 durch die damalige Gemeinde umgebaut und saniert als Gaststätte an Wolfgang Stötzel übergeben wurde. Seit über 50 Jahren leitet er die bekannte Gaststätte. Durch seine Initiative konnten in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts weitere Räume für eine Hotelnutzung umgebaut werden.

Die Mihlaer und die Freunde des Grauen Schlosses haben die Hoffnung, dass das gastfreundliche Anwesen noch lange als solches erhalten bleibt…

Gastfreundlich war das Schloss jedoch auch schon in früheren Zeiten. Über diese sollen wir in einigen losen Folgen berichten.

Im Oktober 2020 erhielt ich von der Urenkelin des letzten Harstall im Grauen Schloss Georg Ludwig Ernst, ein Paket mit Familienfotos und einem alten Gästebuch. Frau Barbara Kuhlmann hatte sich davon getrennt, weil sie, die ohne Kinder oder interessierte Nachfahren in Hamburg lebt, der Meinung ist, diese Gegenstände wären im Mihlaer Museum besser aufgehoben.

Beim Betrachten des Gästebuches stellte ich rasch fest, dass ich da etwas ganz Besonderes in den Händen hielt.

Das Gästebuch war im Juni 1923 an die Tochter Annemarie von Harstall und deren Bräutigam, den aus Westfalen stammenden Hans Große-Brauckmann, von Annemaries Schwester Elisabeth von Gudenberg zur Hochzeit geschenkt worden. Fortan wurde das neue Buch tatsächlich als Gästebuch im Grauen Schloss genutzt. Bis Anfang 1948 sind alle Besucher, ab Verwandte, Bekannte oder zufällig den Ort oder das Schloss aufsuchende Gäste, mit kleinen Sprüchen, Wünschen und Bemerkungen eingetragen. So entstand ein dicker Band voll von Namen, Erinnerungen, vor allem aber voll vom Zeitgeist dieser Jahre getragen, ein Spiegelbild konservativen adligen Denkens, eine Originalquelle, die uns jene Jahre der Weimarer Republik, der Nazizeit und des beginnenden Umbruchs nach 1945 verständlicher macht.

Um die handelnden Personen besser zu verstehen wollen wir diese in einem ersten Teil etwas genauer vorstellen:

Im Grauen Schloss lebten 1923 der Freiherr Georg Ludwig Ernst mit seiner Ehefrau Luise, geborene Kohl, eine aus Bernburg an der Saale stammende Fabrikantentochter gemeinsam mit der jüngeren Tochter Annemarie. Nach der Hochzeit im Juni 1923 bezog die junge Familie die obere Etage des Schlosses. Schwester Elisabeth wohnte mit ihrem Mann Wolff von Gudenberg im Vorwerk auf dem Sand, dem Sandgut. Hinzu kamen verschiedene Dienstleute, Mägde und Knechte, von denen wir aber nicht wissen, ob sie direkt im Schloss oder in einem der damals noch vorhandenen Nebengebäuden untergebracht waren.

Für Gäste war also ausreichend Platz.

Zurück zu Georg Ludwig Ernst und seinen Vorfahren:

Sein Vater, Karl Friedrich Wilhelm, verheiratet mit der 1827 geborenen Franziska Marie Luise Köhler, der Tochter des Mihlaer Pfarrers, hatte fünf Kinder, Georg Ludwig Ernst also vier Geschwister. Im Februar 1849 wurde Friedrich Johann August Carl geboren, der bereits mit 18 Jahren in die Armee des Großherzogs von Weimar eintrat.

Ihm folgte Caroline Sophie Friederike Hermine Emelie, im November 1850 geboren. Sie heiratete den bürgerlichen Offizier Friedrich Fischer.

Die zweite Tochter Marie, 1854 geboren, verstarb bereits 1884 unverheiratet. Schließlich wurde noch die Tochter Helene geboren, die den aus Geisa in der Rhön stammenden Forstmeister Paul Trautvetter heiratete und später in Weimar bis zu ihrem frühen Tode 1880 lebte.

Das letzte Kind der Familie war der am 9. August 1861 geborene Georg Ludwig Ernst von Harstall, der schließlich die Sippe weiterführen sollte.

Die meisten dieser Kinder wurden im Sandgut geboren, das Karl Friedrich Wilhelm bis zum Jahre 1871 bewohnte. Erst danach und wohl nach einer entsprechenden Regelung mit dem Bruder Franz Rudolf bezog die Familie die Gebäude des Grauen Schlosses. Allerdings berichtete Georg Ludwig Ernst, der die ersten zehn Jahre seines Lebens auf dem Sand aufwuchs, später davon, dass das Leben in der Abgeschiedenheit des Sandvorwerkes für einen Heranwachsenden sehr schön gewesen sei. Hier konnte er mit den geliebten Tieren, vor allem Hunde hatten es ihm angetan, spielen und die Wohnverhältnisse waren auch nicht so beengt wie in dem unmodernen und kalten Schlossgebäude auf dem anderen Werraufer.

Seine Lieblingshunde „Feldmann“ und „Karo“ sollten ihn noch lange begleiten.

Für die Familie war der frühe Tod des ältesten Sohnes Friedrich Johann August Karl während des Deutsch-Französischen Krieges sehr tragisch. Auf ihm ruhten die Hoffnungen des Vaters, das Gut bald zu übernehmen und die noch immer belastenden Forderungen zahlreicher Gläubiger auszahlen zu können.

Karl Friedrich Wilhelm von Harstall, 1817 bis 1900, war nach der Erbteilung von 1865 Besitzer des Grauen Schlosses und verfügte bald auch über die Ländereien des Rittergutes Weißes Schloss seines jüngeren Bruders Franz Rudolf von Harstall.

Die Aufnahme entstand in einem Eisenacher Fotoatelier in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts.

Franziska Marie Luise von Harstall, geborene Köhler, Tochter des Mihlaer Pfarrers und Ehefrau des Karl Friedrich Wilhelm, eine Respektsperson, die sich in allen Belangen der Mihlaer Untertanen bestens auskannte, Sammlung Kuhlmann, Mihlaer Museum.

In der Schlacht bei Châteaudun, 50 Kilometer nordwestlich von Orleans, am 18. Oktober 1870 zwischen Teilen der französischen Loirearmee und Einheiten des bayerischen I. Armee-Korps unter dem Kommando von General von der Tann stieß die Kompanie des 94. Infanterieregiments des Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach, in dem der junge Mann als Premierleutnant und Kompaniechef diente, im Bestand der 22. preußischen Infanteriedivision auf französische Truppen.

In einem mörderischen Häuserkampf empfing Harstall einen Kopfschuss und war sofort tot. Er erhielt von der Familie ein würdiges Begräbnis in der Familiengruft. Der Vater ließ ihm zu Ehren und auch in Erinnerung an vier weitere Mihlaer, die im Kriege den Tod fanden, auf dem Mihlaer Marktplatz ein Denkmal mit den Namensinschriften der Gefallenen errichten.

Nach dem als Heldentod verklärten Ereignis lag nun die Hoffnung der Familie auf dem jüngsten Sohn Georg Ludwig Ernst, der zu diesem Zeitpunkt gerade neun Jahre alt war.

Friedrich Johann von Harstall, als Leutnant im 94er Regiment, aufgenommen kurz vor seinem Tod im Oktober 1870, Mihlaer Museum.

Georg von Harstall besuchte zunächst die Eisenacher Realschule, trat dann als Einjährig-Freiwilliger in das 94er Regiment ein, leistete dort seinen Armeedienst und besuchte schließlich die Landwirtschaftliche Schule in Hildesheim. Dort wollte er sich das landwirtschaftliche Rüstzeug holen, um den Vater bei der Führung des Rittergutes zu unterstützen.

In den 80er Jahren kehrte er nach Mihla zurück. Inzwischen hatte er mit der Fabrikantentochter Luise Kohl aus Bernburg auch eine Ehefrau gefunden, die aufgrund ihrer Mitgift alsbald in Mihla gern gesehen war. Auch Georg Ludwig Ernst durchbrach also die bereits seit Jahrzehnten bemerkbare Entwicklung nicht, sich mit finanziell gut gestellten Frauen aus der bürgerlichen Mittelschicht zu verheiraten.

Georg kam gerade rechtzeitig nach Mihla zurück, um gemeinsam mit seinem Vater Karl nach Lösungen zu suchen, die drückende Schuldenlast, die noch immer auf dem Gesamtbesitz lastete, zu entschärfen. Er schlug eine Teilung der Güter und einen Verkauf vor. Dies erschien Karl von Harstall, der immer weniger Interesse zeigte, sich in neue finanzielle Abenteuer einzulassen, der einzige Weg, die dringend benötigten Investitionen in den Betrieb ohne weitere Hypotheken durchzuführen.

Dazu demnächst mehr.

Rainer Lämmerhirt

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